Kleiner Junge rettet großen Mann.
Es begibt sich zu einer Zeit, als man die Rinder zur Waldwiese bei der Waldschmiede treiben will. Die Zäune im Waldstück und an der Lichtung sind nicht mehr die besten, also kommt der alte Lanz in Arbeit, die Einachskarre hinten dran, und aufgeladen wird, was bei einer knappen Stunde Fahrt bergan zur Ellenburg hinauf besser nicht daheim am Hof vergessen sei.
So fährt der Landwirt gemächlich mit dem alten Lanz Bulldog und seinen beiden noch sehr jungen Söhnen sowie dem elfjährigen Neffen zum Weidezaunbau in eine abgelegene Weidenlichtung im Langen Wald. Der Mittlere sitzt auf dem Kotflügelsitz, der ältere Neffe fährt mit dem Kleinsten in der Karre mit.
Angekommen, das Wetter wunderbar, strahlender Sonnenschein und alles was dazu gehört, wird ausgeladen und fleißig Zaun gebaut. Mit dem Spaten Löcher ausheben, der Vorschlaghammer treibt die anderthalb Meter langen Pfähle in die Erde. Nachdem drei Pfosten gesetzt sind, beginnt der Älteste, den Stacheldraht von der Rolle zu wickeln, Krampen werden gehämmert, der Draht mit der Kneifzange gezogen, fest verspannt.
„Ne Krampe rein, noch eine, ach besser noch eine Dritte, richtig so. Weiter so, das machst du gut.“ Ein Zaunpfahl, der nächste, noch einen setzen. „Immer zehn Meter, bald sind wir fertig, Jungs.“
Gesagt, getan und einen weiteren Holzpfahl in die Erde stoßend, geschieht das Schlimmste, was in solch einem Moment auch nur geschehen könnte.
Der Bauer hat den Pfahl mitten in ein Erdwespennest gerammt. Die fühlen sich bedrängt, schwärmen aus, gehen plötzlich und aggressiv auf alles los, was nicht in die beruhliche Waldlichtung und somit ihre Heimat gehört.
Es entsteht aus dem ersten Schreck eine handfeste Panik, denn die vier befinden sich in Lebensgefahr. Von hunderten der Wespen bedrängt, ruft der Landwirt die Jungs, die beiden Kleinen finden sich allerdings außerhalb unmittelbarer Gefahr, denn sie spielen am anderen Ende der Waldweise. Der Ältere ist ebenso außer unmittelbarer Reichweite der Wespen, er ist ja mit Stacheldraht spannen und Krampen nageln an einem der zuerst gesetzten Zaunpfosten beschäftigt.
Der Bauer aber, den im ersten Schreckmoment das Wissen heimsucht, dass sich der nächste Zufluchtsort Kilometerweit entfernt befindet, befällt die schiere Angst um das Leben der Kinder und auch seines. Da auf dem alten Bulldog keine geschlossene Kabine montiert ist, und auch sonst kein Schlupfwinkel zu finden wäre, wo sich die Vier vor dem aggressiven Schwarm irr umher schwirrender und angreifender Wespen retten können, initiiert er die gemeinsame, sofortige Flucht.
Der Landwirt lässt Werkzeug und Material stehen und liegen, ruft die Kinder panisch, die sofort angerannt kommen, und setzt sich selbst hinten in die Karre. Mittlerweile ist er bleich wie ein Geist, gibt kurze, knappe Anordnungen.
„Großer, du fährst sofort den Trecker heim, halt nicht an. Egal was passiert. Die beiden Jungs sitzen mit mir in der Karre, ich werde sicher gleich ohnmächtig, werde nicht fahren können. Schaffst du das? Dann fahr!“
Ein Blick in das verhängnisvolle Tal mit dem rettenden Waldweg Richtung Waldschmiede und somit dem heimatlichen Hof in Elleringhausen.
Nebenstehendes Foto wurde aufgenommen im September 2023, und somit knapp fünfig Jahre nach dem Unglück.
Der Elfjährige vollen Mutes, springt auf den Trecker, legt den Gang ein, fährt auf Teufel komm raus aus der Weide, durch den Wald, über Äste und durch Pfützen, über Waldkreuzungen den Schotterweg entlang zur Landstraße, dem heimatlichen Hof entgegen. Hinten im Anhänger die drei, die er nicht sehen oder hören kann, er weiß nur instinktiv, er muss schnellstmöglich den rettenden väterlichen Hof erreichen.
Unterwegs kommt ihm der Dorfmüller mit seinem alten Eicherbulldog entgegen, rudert mit den Armen, ruft dass er doch gar keinen Trecker fahren dürfe, er solle sofort anhalten.
„Ich rufe die Polizei“, brüllt der noch im Umdrehen, doch der Lanz mit der Karre und dem nunmehr bewusstlosen Landwirt und dessen beiden Jungs braust den Eselsberg hinab, rumpelt an der Ellenburg entlang, eilt der scharfen Eselsbergkurve entgegen, hoffentlich kracht er nicht mitsamt der lebenden Fracht in den nächsten Graben.
Endlich und einigermaßen durchgerüttelt, aber sicher zuhause angekommen, die Handbremse gezogen, den Motor aus, rennt der Junge ins Haus, rufend, schreiend, Hilfe suchend.
Die Hilfe kommt, des Bauers Frau ist am Wäsche machen, reagiert sofort. Ihr Mann liegt regungslos im Karren, die Kinder weinen, hilflos sitzen sie bei ihrem Papa, besonnen ruft sie zuerst einen Krankenwagen, dann hebt die Mutter die Jungs aus dem Anhänger, schiebt sie liebevoll aber eilig beiseite. Sie nimmt ihren Mann bei den Schultern, dreht ihn auf die Seite, räumt den Mund von Erbrochenem, sichert ihn in Seitenlage.
Knappe fünfzehn Minuten später trifft der Rettungswagen ein und der Verletzte wird umgehend versorgt und ins Krankenhaus gebracht.
Nach einer Woche wird der Landwirt gesund und munter entlassen, am Ende gibt es ein Nachgespräch mit dem behandelnden Arzt, der Bauer hat nicht einen einzigen Wespenstich abbekommen. Allerdings wurde eine Wespen- und Bienenallergie festgestellt. Zudem gehe man davon aus, dass aufgrund der bedrohlichen Situation in dem abgelegenen Wald und ohne Rettungsort wie ein zu erreichendes Gebäude, die Angst um die eigenen Kinder so immens eingetreten ist, dass diese die eigentliche Allergie ausgelöst habe. Die Wespen seien nur die Auslöser, nicht aber die Schuldigen.
Ein späterer Besuch in der Weide, um die dort gelassenen Werkzeuge zu bergen, zeigt keine Wespen, auch nicht dort, wo der zuletzt einzugrabende Pfahl noch liegt.
Das Richtige tun. Auch wenn es manchmal nicht ganz legal erscheint 🙂
In der heutigen Zeit würde der junge Retter wohl ein Ehrenverdienstkreuz erhalten, zumindest aber ein Dankschreiben eines wohldotierten Bürgervertreters. Damals gab es vom behandelnden Arzt ein „Danke, Junge, das hast Du gut gemacht, hast dem Mann das Leben gerettet.“
Und vom Landwirt bekam er ein ordentliches Nord-Waldeckisches „Schönen Dank auch„.
Und die Moral von der wahren G’schicht, allergisch fährst ins Wespenländle besser nicht.
Für mich war es einfach nur die notwendige Aktion auf eine lebensbedrohliche Reaktion.
Bild- und Textrechte: R Göbel.
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